Diese Fachfremde ist in der vergangenen Woche über den Schlossplatz, zwischen zwei Kinos und mehreren Cafés hin und her und durch die gesamte Stuttgarter Innenstadt getingelt:
Mein Name ist Vanessa und ich studiere PR. Nicht Film, nicht Audiovisuelle Medien, diesen wunderbar kreativ angelegten Studiengang an der HdM mit dem feschen Namen, der noch so viele Richtungen für seine Kursteilnehmer offenhält (Hauptsache Bewegtbild!).
Trotzdem war ich auf dem ITFS unterwegs.
Und als ich am Mittwoch zum ersten von vier Drehbuchworkshops aufbrach, die fast jeden Morgen auf dem Internationalen Trickfilmfestival eröffneten, hatte ich im Nachhinein beurteilt wenig Ahnung davon, was mich erwarten würde. Natürlich hatte ich Filmemacher und Workshop-Dozenten angeschrieben. Wir wollten sie mehr über ihre Werke fragen, ihnen Insider-Tipps für junge Studenten auf einem ähnlichen Karriereweg entlocken. Der Programmflyer in der Jackentasche war praktisch meine Jackentasche. Aber: wer waren diese Filmemacher denn eigentlich? Was taten sie? Wikipedia und Google konnten mir Filme nennen. Der Hobbit und der Planet der Affen waren imposante Beispiele. Andere Male spuckten die Suchmaschinen ganze Listen preisgekrönter Animationsfilme aus – von denen mir kein Titel bekannt vorkam. Und die Namen? Rafa Zabala? Àron Gauder? Noch nie gehört. Manchmal hüllten sich Suchmaschine und Online-Enzyklopädie auch in einvernehmliches Schwiegen. Das Ganze war ein seltsam spannender Mix, etwas, das nicht recht zusammenpasste, aber dadurch Spannungen mit sich brachte, wie ein gegenteiliges Paar, das unweigerlich Interesse entzündete. Ein klassischer Fall von Funkensprung durch Reibung.
Gefährlich: der Nebel der Verwirrung
Im ersten Drehbuchworkshop stand eine bärtige Gestalt mit eher schlampigem Haar-Style und holprigem Englisch vor der Masse in dem für meinen Geschmack klein geratenen Kinosaal im City-Kino Metropol. Der Aufbau erinnerte mich an den Raum, in dem im spärlich besuchten Kleinstadt-Kino meines Wohnorts diejenigen als weniger erfolgsversprechend aussortierten Filme widerstrebend eine letzte Chance auf Publikum erhielten, an den Raum, für den man sogar in diesem Miniaturgebäude Treppen bezwingen musste, um ihn zu erreichen. Sozusagen als zusätzliches Hindernis, das den Kinobesucher verunsichern soll: „Willst du da wirklich rein? In DEN Film? DIESE klapprigen Treppen hoch? Nicht doch nochmal umkehren? – Es ist noch nicht zu spät…“ Vielleicht hatte ich trotz des anfänglichen Gefühls, auf dem Gebiet der Trickfilm-Stars völlig im Dunkeln zu tappen, irgendwie überhöhte Erwartungen gehabt. Das Metropolkino Nummer drei hat rein objektiv gesehen keine Ähnlichkeiten mit dem oberen Winnender Kinosaal, dessen himmelblaue Wände man liebevoll mit Wölkchen versehen hat. Also: schiebt es ruhig auf meine anfängliche Aufregung und auf die gnadenlose Übertreibung meiner Vorstellungskraft vor Beginn des Festivals. Aber besonders gefüllt war der Raum nicht. Was natürlich seine Gründe in der Uhrzeit an einem Werktag gehabt haben könnte.
Ob Àron Gauder ein Typ ist, dessen Alltagssprache aus ungewöhnlich vielen Fluchworten besteht, oder ob seine Ausdrucksweise seinen Englisch-Kenntnissen geschuldet war, frage ich mich immer noch. (Es ist wohl so ein Zwischending.) Zwischen den einigen Fucks sprach er über sein als Serie konzipiertes Projekt Coyote. Er zeigte einige der einzelnen Schritte in der Animation in Premiere und wirkte manchmal ein bisschen verloren, wenn der Mac-auf-Windows-Umstieg seinen Tribut zollte/einforderte. Verwirrung herrschte aber nicht nur auf seiner Seite, vielleicht war es so ein allgemeines durch den Raum waberndes Phänomen, denn zumindest ein paar der Anwesenden waren ebenso durcheinandergebracht wie wir selbst von der Tatsache, dass hier ein anderer Redner stand als angekündigt. Mehrmaliges fahriges Durchblättern des doch eigentlich so gut auswendig gelernten Flyers inklusive. Trotzdem konnte ich von der Veranstaltung etwas mitnehmen. Die Publikumsfrage, wie es mit Coyote weitergehen würde, gab einen ersten Einblick in die Wirren der Filmrechte – denn noch war gar nichts sicher…
Fazit: Egal, wir haben noch den Rafael heute Mittag…
Entschlossen, mich von der subtilen Atmosphäre des Chaos, das sich auch bei einer weiteren Präsentation in Form von stotternden Referenten, Falschauskünften und Flüchen über mich ergossen hatte, nicht überwältigen zu lassen, gab ich mich dem restlichen Programm hin – das heißt, einer einzigen Auswahl aus dem gefühlt labyrinthartigen Angebot. Dem Punkt mit dem größten Staraufgebot. Dem, die mir die einzigen Künstler versprach, deren Name im Zuge des Promigeflüsters der Filmwelt auch schon einmal in meinen Ohren widergehallt war: Kostja Ullmann und der Mensch von der heute Show im ZDF. Entsprechend wurde es ein unterhaltsamer Abend, zu dem ich einige Eindrücke auch schon im zugehörigen Blogeintrag festgehalten habe.
Den nüchternen, ruhigen Erzähler Rafa Zabala, der so wahre Größe ausstrahlte, hatte ich am Ende verpasst. Ebenso wie ganze fünf Vorstellungen von Filmen, die an verschiedenen Wettbewerben teilnahmen. (Unser Chefredakteur hat sich dabei übrigens an eine Rezension von Miss Hokusai, Teilnehmerwerk am AniMovie Contest, gewagt.) Aber egal, ich hatte ja noch den nächsten Tag. Und den übernächsten. Und den über-übernächsten. Und den – egal. Mit der in der Ruhe des passiven Zuschauers dämmernden Einsicht, dass ich wohl einfach nicht alle Programmpunkte erleben können würde, fiel einige Anspannung von mir ab.
Gelassenheit bringt die Szene näher
Mit um 22.00Uhr nachts geschöpfter Zuversicht und Motivation startete ich in den Donnerstag. Jess führte am Nachmittag ein Interview mit dem Grafikdesign-Künstler Jan-Dirk Bouw, das sich zu hören lohnt. Studio- und Schulpräsentationen und hiesige Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten fand ich persönlich spannend. Und die Young Animation war nicht nur interessant aus der Sicht eines Medienstudenten, der Inspiration sucht, sondern sie war auch mit mitreißenden und faszinierenden Werken bestückt.
Ich ließ mich von aufwellender Begeisterung treiben. Die Filme hatten dazu eingeladen, sie zu untersuchen, auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen und dabei zu facettenreichen persönlichen Interpretationen zu gelangen. Ich habe zwar ungeschulte Augen in Bezug auf Animation, die Disney-Klassikern aus meiner Kindheit gewöhnt sind. Aber ich habe visuelle und dramaturgische Glanzstücke in unerwarteter Vielfalt gesehen.
Und einige Werke ließen mich nicht mehr los – weshalb das Interview mit Alejandra Jaramillo und Paulina Sanhueza letztendlich zustande gekommen ist.
Als wir Besucher am Samstag auf dem Drehbuchworkshop dann selbst einen Trickfilm konzipieren durften, entfuhr mir der Satz: „Nein, nein, ich bin kein Filmemacher, ich bin als Journalistin hier.“ Der schmeckte schal auf meiner Zunge, er fühlte sich augenblicklich falsch an. Natürlich hätte ich gerne selbst gepitcht! Ich hätte unser in wenigen Minuten entstandenes und dabei so vor Ideen sprühendes Konzept sehr gerne vorgestellt. Ich war voll dabei. Und das war eine lohnende Erfahrung.
Klartext: Was lohnt sich?
Das Filmfestival in all den Wirren seines ausladenden Programms kann begeistern. Die Vielfalt, die schon allein durch die Austragung nicht nur des Grand Prix, sondern nebenbei weiterer Wettbewerbe gegeben ist, liefert einen kleinen, aber eben doch facettenreichen Einblick in das, was die Animation alles bereithält – fernab von Fernseh- oder dem konventionellen Kinobildschirm. Denn: vielleicht werden künstlerische Höhepunkte dort auch zu sehr vom Kommerz verdrängt. In der Netflix-Studiopräsentation sprachen Produzenten offen darüber, welcher Druck vor allem im Kinderfilmsegment des TV vorherrscht. Das ist sicher nicht das einzige Beispiel. Und die Wettbewerbe zeigen Werke, die man selten erblickt, wenn man sich durchs alltägliche Fernsehprogramm zappt.
Gesprächssituationen zeigten mir die überraschende Nahbarkeit der Filmemacher – nicht nur der Studenten, sondern auch die der „echten Stars“ (scheint ganz gut im Interview mit Spela Cadez durch). Und diese Persönlichkeiten inspirieren. Über die Filmszene hinaus.
Eine persönliche Empfehlung aussprechen möchte ich für die tiefergehenden Vorstellungen aus dem Rahmenprogramm. Überlegt ihr euch, nächstes Jahr das Trickfilmfestival zu besuchen? Dann kann ich euch darin nur bestärken, weil Insights aller Art geboten sind. Als völliger Grünschnabel auf dem Gebiet der Animation hat es auch mich mitreißen können, und plötzlich gabelte ich mir hervorspringende Einzelprogrammpunkte auf, fand sie zuverlässig im Heuhaufen derjenigen Punkte, die ich im Vorhinein als wichtig für die Berichterstattung abgestempelt hatte. Mein Fokus löste sich vom „Hauptsache-mitnehmen-was-geht“ wie selbstverständlich zu all denjenigen Vorstellungen, die irgendwie mehr zeigten, der Trickfilmbranche genau den Filter auflegten, der an meinem Interesse zwickte. Mit ein bisschen Geduld am ersten Tag und dem Vertrauen aufs Bauchgefühl bezüglich der Veranstaltungsauswahl lohnt es sich, die Dauerkarte fürs Festival zu erwerben. Geht nicht nur die Stars abklappern. Lasst euch nicht nur berauschen vom Glanz und Gloria (haha, Wortwitz…) der Abendgalen. Klar, feiert die Wettbewerbsteilnehmer, die haben es verdient, gezeigt zu werden. Aber achtet auch auf diejenigen Punkte, die auf dem Progammzettel in bloßem nüchternen Schwarz abgedruckt sind. Nur Open-Air-Kino, nur Film aus Wettbewerben kann den Kopf träge machen. Mit ein bisschen Tiefgang ins Thema taucht man ein in das, was dahintersteckt. Und auch, dass man sich in Workshops selbst ein bisschen ausprobieren kann, trägt sicherlich einen großen Teil dazu bei, dass das ITFS Trickfilm – und übrigens auch Games – erlebbar macht. Film zum Anfassen, sozusagen. Wie in einem dieser 4D-Kinos in Freizeitparks, in dem spritzendes Wasser zur animierten Spucke auf der Leinwand hinzukommt – nur mit viel mehr Wert!
Vanessa Krug