Glück kann manchmal so einfach sein – HORADS 88,6 Interview

Auf „4 ½“, der neuen Platte von Steven Wilson, findet sich mit „Happiness III“ ein Song, der für den Porcupine Tree Frontmann ungewöhnlich catchy und radiotauglich klingt und trotzdem – oder gerade deshalb (?) – nicht als Single vorgesehen ist. Hier verzichtet der 2015 zum König des Progressive Rock gekrönte Brite, der auch schon als Beethoven unserer Zeit bezeichnet wurde, auf stilistische Brüche, Taktwechsel und komplizierte Arrangements, die sonst seine Musik bestimmen.

Verglichen mit den überwiegend melancholisch bis düster klingenden, epischen Veröffentlichungen früherer Jahre, ist „Happiness III“ ein scheinbar leicht zu konsumierender Popsong, der schnell ins Ohr geht. Aber bei Steven Wilson lohnt es sich immer, genau hinzuhören. So locker flockig wie der Titel und die Melodie des Refrains erwarten lassen, sind die lyrics nicht: Der Text hinterfragt das im Titel erwähnte Glück und hat einen misanthropischen Beigeschmack:

Sorry that was cruel I only meant for you to lose your balance in the snow
Slip on the ice so I can catch you fall
Sorry that’s not true I didn’t think that you would take it all to heart
I just made it up so I could watch you crawl
Sorry if I’m rude I’m getting anxious and a darker mood comes over me
Are there any reasons left to get out of bed
Is there anything else I can write that I haven’t read
It’s all been said…

Die Textzeile „Is there anything else I can write that I haven’t read“ lässt sich auch darauf beziehen, dass das Output eines Künstlers in der Regel dem Input entspricht. Laut Steven Wilson kann man aus seinem Songwriting heraushören, was er privat hört. Und das, obwohl er Musik bevorzugt, die möglichst weit vom eigenen Stil entfernt ist, wie er im Interview mit HORADS 88,6 erklärt. Mit „Happiness III“ im Ohr überrascht es nicht, wenn er sich im Gespräch als Popmusik-Fan outet. Er nennt aber auch musikalische Vorlieben wie Drone, Ambient, Neue Musik (Klassische Musik des 20. Jh.), Jazz und andere komplexe Genres.

https://soundcloud.com/horads-88-6/interview-steven-wilson-12012016-horads-heavy-hour

Vielleicht erklärt die Bandbreite dieser Einflüsse, weshalb bei Steven Wilson auch ein Popsong wie „Happiness III“ so vielschichtig klingt. Der Song passt zum Konzept seines 2015 veröffentlichten Albums „Hand.Cannot.Erase.“, für das die Nummer ursprünglich aufgenommen wurde. Die römische Ziffer im Titel bezieht sich darauf, dass es die dritte Fassung des Songs ist, den Steven Wilson bereits 2003 geschrieben hat. Nach über 12 Jahren konnte er sich nun endlich dazu durchringen, eine derart eingängige Nummer – die seinem extrem hohen Anspruch an Komplexität vielleicht nicht ganz gerecht wird – zu veröffentlichen. Zum Glück!!!

#NEUbeiHORADS

Lydia Michel

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