Popmusik und Digitalisierung

Der Einfluss der Digitalisierung auf die Popmusik

Popmusik ist in aller Ohren, sie umgibt uns tagtäglich. Für manche ist sie von großer Bedeutung, während andere sie eher beiläufig wahrnehmen. Mit der fortschreitenden Digitalisierung hat sich nicht nur die Art, wie wir Songs hören verändert, sondern auch, wie sie produziert werden.

Ein kurze Reise in die Vergangenheit

Grob lässt sich die Entwicklung der Popmusik in fünf Dekaden aufteilen: Die 1950er-Jahre stehen für Rock’n’Roll und Halbstarke; die 1960er für Folk, Beat, Mods und Hippies; die 1970er für Glamrock, Psychedelic Rock und Punk; die 1980er für New Wave, Hair Metal und Synthesizer-Musik; die 1990er schließlich für Techno und HipHop. Doch was geschah danach? Zunächst schien die Bedeutung von Popmusik um die Jahrtausendwende abzunehmen. Hinweise darauf liefern beispielsweise die sinkenden Verkaufszahlen für Tonträger im klassischen Sinn. Dies ist unter anderem auf neue Medien und Technologien zurückzuführen: Es wurde mehr heruntergeladen, getauscht oder später auch gestreamt, und das oft kostenfrei. In Bezug auf die musikalische Entwicklung fällt auf, dass Popmusik in einer Art Retro-Schleife gefangen zu sein scheint, die Vergangenes immer wieder neu aufgreift.

Verlust der musikalischen Freiheit – angepasste Popmusik

Digitalisierung bedeutet auch, dass es eine immens gewachsene Verfügbarkeit von Popmusik gibt. Streamingdienste wie Spotify, Apple Music und Deezer liefern mit wenigen Klicks eine unvorstellbare Masse an Musik. Obwohl Formate wie Vinyl oder sogar die Musikcassette derzeit eine kleine Renaissance erleben, sind Anbieter digitaler Dienste heute marktbeherrschend. Wirtschaftliche Faktoren spielen eine große Rolle, wenn es um die heute konsumierte Popmusik geht. Durch Datenanalysen lässt sich genau sehen, was bei den Hörer*innen funktioniert und was nicht. Dementsprechend kann Musik auf das Konsumverhalten der Hörer*innen hin produziert werden. Es gilt die Regel: Ein Song muss sofort ins Ohr gehen, eine eingängige Hookline haben, damit er nicht weggeklickt, sondern länger gestreamt wird. Kompositionen orientieren sich heute daher an unserer Aufmerksamkeitsspanne und kommen deshalb viel schneller als früher zum vermeintlich relevanten Teil, dem Refrain, anstatt mit langen Intros zu langweilen oder zum Vorspulen zu motivieren. Aber nicht nur die Grundstruktur von Songs passt sich an. Mittels Sounddesign werden die Klänge in der Produktion gezielt an die aktuellen Gewohnheiten der Hörerschaft angepasst. Die Popmusik hat sich also an unsere Hörgewohnheiten angepasst, dadurch ist jedoch auch ein Teil der musikalischen Freiheit oder schlicht der Mut zum Ungewohnten verloren gegangen.

Auch wenn die Digitalisierung große Auswirkung auf die Popmusik und dessen Schaffensprozess hat, scheinen viele Produzent*innen sich mit dieser Thematik nur wenig auseinandergesetzt zu haben. Oliver Zöllner hat sich genauer mit dieser Problemstellung befasst. In seinem Fachbeitrag „Reconstructing Future Visions from the Past“ analysiert er, wie Popmusik mit gesellschaftlichen Vorstellungen und Auswirkungen von Digitalisierung und computergestützten Produktionsprozessen umgeht. Grundlage der Betrachtung sind ausgewählte Schlüsselwerke von den späten 1960er- bis zum Ende der 1990er-Jahre – von Jefferson Airplane und The Alan Parsons Project (I Robot) über Kraftwerk (Die Mensch-Maschine; Computerwelt) bis zu Radioheads berühmtem Album OK Computer. Aus einer wissenssoziologischen Perspektive zeigt Zöllner die Entwicklung popmusikalischer Imaginationslinien rund um technologische Wandlungsprozesse auf. Am Ende steht die Erkenntnis, dass die Popmusik im betrachteten Zeitraum Phänomene wie Digitalisierung und Automatisierung größtenteils entweder ignoriert oder extrem negativ widergespiegelt hat: als Dystopie – obwohl digitale Produktionsmittel und -techniken auch in der Popmusik gleichzeitig eine stetig wachsende Bedeutung übernahmen. Erschienen ist der Beitrag in einem Kongressband der International Association for the Study of Popular Music (IASPM).

Zöllners Beitrag findet ihr hier:

https://vibes-theseries.org/wp-content/uploads/2022/10/Z%C3%B6llner.pdf

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